Bernhard G. Lehmanns Arbeiten begegneten mir zum ersten Mal in einer sie sehr unwirklich haltenden, einer sie durch ihre satten Farben verschlingenden Umgebung, auf einer Rasenfläche, von Bäumen und Sträuchern gerahmt, einem Rahmen, der – wie oftmals auch bei der bildenden Kunst – das Werk, um das es eigentlich geht, gefangen nimmt, es beengt, ihm einen völlig anderen Ausdruck verleiht, vor einem Haus, vor einer Galerie in Hamburg.
Fast würdevoll gaben sie sich der „Gefangennahme“. Die rötlich schimmernde wuchtige iranische Travertin schien über die Gräser hinwegzuschweben, dies verursacht durch die aus ihm erwachsenden Metalle; die wie aneinandergereihte Regentropfen wirkenden Stahlstangen bewegten sich im Wind, berührte einander, gaben Klänge, unregelmäßig und doch mit einer auf Dauer sehr beruhigenden Regelmäßigkeit, die sich schnell für den Betrachter und Zuhörer von einem künstlich erzeugten zu einem natürlichen Bestandteil der uns in der Natur umgebenden Klang- und Bilderwelt entwickelten und nun ganz und gar in der Umgebung eingingen, Einheit waren, keine Fremdkörper, mehr stilisierte und hervorgehobene Ausschnitte des Ganzen.
Diese wuchtig wirkenden und doch grazilen, diese für uns nicht in unsere Sicht auf Natur passenden, ja unwahren und doch vorhandenen Objekte, diese zuerst unnatürlichen metallischen und doch dazugehörenden Klänge wirkten auf mich, als ginge es hier lediglich um den Kontrast, als beweise sich einmal wieder der schlecht gewählte Ort, der Tribut, den Kunst an die kommerzielle Wirklichkeit zollen muss, eigentlich sogar ein bisschen entgegen ihrem Eigentlichen Sinn, soweit er in unseren heutigen Welt überhaupt noch erkannt wird, geschweige denn sich behaupten kann.
Ich sah vor mir einen großen weißen Marmorsaal, eine repräsentative Halle in einem großen Bürogebäude, den Asphalt im öffentlichen Raum, dachte mir Lehmanns Arbeiten in diese Umgebung, herrschaftlich, großzügig, den Raum nicht ergänzend, ihn beherrschend, ihn überhaupt erst einen Sinn verleihend, die Fortführung natürlicher Formen, die edle Vollendung des hier nun zur Kunst gewordenen Steins, die Vollendung der alltäglichen und von uns nicht mehr beachteten Bewegungen der Grashalme, der Wiesen, der Kornfelder draußen in der Natur.
Ich spürte die Bewunderung, wenn sich Menschen in diesen Hallen flüsternd oder auch schweigend den Skulpturen stellten, erkannte in ihren Gesichtern die Assoziationen, die sie mit „Gate of Winds“, „Blue Grass Music“ oder „Weite und Wersten“ verbanden, erschwieg mir in Gedanken ihre Sprachlosigkeit, die oftmals mir begegnete, wenn vor Naturwundern stehend Menschen sie nicht fassen können. All diese Gedanken führten mich zurück zu dem Ort, an dem ich Lehmanns Arbeiten zum ersten Mal sah, in Hamburg, in der Galerie, im Garten, von Sträuchern und Bäumen umrahmt, auf einem Rasen, der schwere, ja wuchtige Stein, die Erde, aus der der Stahl, aus der die Halme erwachsen, in die die Regentropfen fallen; die leise Melodie, wenn der Wind die Dinge instrumentalisiert, die alles verschlingenden Farben, in denen jedoch auch jede einzelne besteht, jedem Leben Raum gegeben wird, zurück in die erst einmal abweisende Umgebung und nun doch eine, die eben nicht von den Arbeiten des Künstlers dominiert wird, nicht bestimmt, die umgekehrt nicht für eben diese Skulpturen als Rahmen erschaffen wurde, sondern die sie aufnimmt, als wären sie schon immer auch ein Teil ihrer, eine klangvolle Harmonie zwischen Idee, Material und Gestaltung, Natur eben. Diese hier zusammen gehenden unterschiedlichen Kommunikationsformen des Künstlers regen die Fantasie des Betrachters an, durch die erst ihre eigentliche Dominanz im Raum entsteht, aber nur als Fiktion.
Dienen Lehmanns Arbeiten nicht der Vollendung dessen, was schon so lange währt und aus dem sie selbst erwachsen sind? Sind sie nicht die Überhöhung, weil die Natur uns heute nicht reicht, die in großen Sälen ausgestellten Prototypen dessen, was wir uns als Krönung der Schöpfung vorstellen wollen? Dienen sie nicht der Befriedigung unseres Ästhetikempfindens allein, sonst sinnlos, einfach dastehend und schön, ohne Aussage, ja, ebenso wie wir vor ihnen stumm verharren?
Ich glaube eher, dass sie uns einen Teil unserer eigenen Entwicklungsgeschichte, auch unserer kulturellen Basis zeigen, dass sie sich vom Ursprung und einer sehr strengen Ordnung, die aus dem Spiel mit der mystischen Zahl Vier entsteht, (vier Himmelsrichtungen, vier Jahreszeiten, vier Erzengel usw.) und mit der Acht, Zwölf und Sechzehn weitergeführt wird, zuerst zu einer harmonischen Unordnung fortentwickelnd, den Raum erfassend, mit den Elementen spielend, mit dem Wind, dem (Regen) Wasser, der Sonne und dem Sand (Erde), trotz der Härte des Materials organisch, um später zurückzufinden, um wieder ein Teil dessen zu sein, aus dem sie sind, zurück zur Erde, zum Ursprung, zur anfangs erwähnten strengen Ordnung, der natürlichen Ordnung der Evolution, aber eben auch der Ordnung der sich stetig entwickelnden und uns heute als Basis für das Miteinander dienenden Kultur, einer gewissen überall herrschenden Grundordnung.
Ein bisschen können sie uns auch als Spiegel dienen. Wir wandern mit ihnen an andere Orte, Assoziationen werden geweckt, leben Erlebtes neu, erkennen in Widersprüchen auch Einheitlichkeit, ertappen uns beim Zählen und spüren auf Anhieb das System. Und wenn es gut läuft, entdecken wir in diesem numerischen Zwang auch das zwanglose Sich-bewegen-können, das regulierte Chaos. Wir lernen etwas über den Raum, in den wir sie wünschen, in den wir uns wünschen, uns fortentwickelnd von dem Beständigen, einfach ziellos, anstatt hineingeboren zu bestehen und zuletzt doch einem Ziel zu folgend, immer auch ein Ziel erreichend – Reduktion und Ursprung.
Alle Arbeiten des schleswig-holsteinischen Künstlers, neben den Skulpturen auch die Aquatinta oder Copycollagen, die durch Werk und Gedankengut des Altmeisters der Informellen Kunst Antoni Tápies beeinflusst sind, kennzeichnen sich durch Grundordnung, gewolltes Chaos und Rückkehr zur Ordnung. Berührt man die Skulpturen, klingen sie, erkennt man die gewollte Unordnung und das damit sanfte Zurückkehren zur Ordnung.
Die als Copycollagen entstandenen Arbeiten des Künstlers stammen entweder aus den früheren Tagen seines Schaffens bzw. sind als Auftragsarbeit in einer Serie mit dem Titel »Mallorca – Wirklichkeit oder Traum« entstanden. Copycollagen entstehen mit Farbe und Fotokopiertechnik auf Folien, die durch eine Presse getrieben und anschließend vor weißem Grund übereinander gelegt werden und somit die sie auszeichnenden Tiefen und den Farbenglanz erzielen.
In den letzten Jahren beschäftigt sich Lehmann mit der Technik der Aquatinta. Ebenso wie bei seinem Vorbild verzichtet er auf die übliche Randprägung, sondern nutzt das gesamte Blatt zur Darstellung. Diese Arbeiten des Künstlers bestechen zumeist durch ihre Schlichtheit, durch die klaren Linien, durch hervorragende Graphik und die künstlerische und technische Umsetzung, Ausdruck durch Schwarz, selten Rot – und Weglassen, Tiefen durch Prägung. In das Objekt miteinbezogen wird die Materialität des Papiers; alles scheint darauf auseinander zu driften, wird durch das Format jedoch gehalten, ein gewolltes Chaos, eine Grundordnung, ein Dahin-zurück-finden.
Lehmann vertrat das Bundesland Schleswig-Holstein bei einer repräsentativen Ausstellung in Tokio, ist im Landesmuseum Schloss Gottorf vertreten und wurde mit Arbeiten in die Sammlung der Sparkassen-Stiftung desselben Bundeslandes aufgenommen. Der Künstler wird auf allen wichtigen Messen und von 11 Galerien national und international vertreten. Darüber hinaus wurden erhielt der Bildhauer, Maler und Graphiker die Ehrendoktorwürde der Azerbaijan State Academy of Fine Art, Baku, Aserbaidschan , den Skulpturenpreis der Stadt Mörfelden/ Walldorf, in 2008 den Award der Fiber-Art Biennale, Beijing, China , den er ein zweites Mal in 2010 zugesprochen bekam. François Maher Presley